Wenn wir dagegen Mitgefühl einüben und praktizieren, müssen wir keine Voraussetzung erfüllen. Ich muß nicht erst »gut« werden, um mitfühlen zu können - es gelingt auch so und ist dann in sich selber schon ein Schritt zur Heilung der Selbstverletzungen. Mitgefühl ist praktizierte Nächstenliebe, plötzlich gar nicht mehr das abstrakte und so ferne Ziel, sondern heute möglich und nur einen Schritt entfernt - so nah wie dein Kind, dein Mann, deine Frau, dein Nachbar, dein angeblicher Feind. Mitgefühl überwindet in praktischen Schritten die Egogrenzen und stiftet Frieden.

Anleitung zum Mitfühlen

Wir erlauben, daß wir von den Gefühlen des anderen innerlich berührt werden. Anstatt uns gegen sie zu wehren oder sie unter falschen Tröstungen zu ersticken (was wir oft tun, aus Angst vor den eigenen Gefühlen), lassen wir uns Zeit und finden in uns selber die Resonanz für die Trauer des anderen, für seinen Schmerz.

Diese Resonanzflächen befinden sich in unserem Körper. Wo? Das weiß jeder und merkt es schnell! Wir bleiben still in der Situation, öffnen uns über ein ruhiges Atmen und wenden uns äußerlich wie innerlich dem anderen zu. Wir fühlen was er fühlt, Worte sind da nicht notwendig, ja es ist gut, eine Weile gar nicht auf den Kopf zu hören. Manchmal wird geraten, sich in den anderen hinein zu versetzen. Das ist viel zu kompliziert. Wenn wir, offen und ihm zugewendet, die Resonanz fühlen, sind wir ja schon mit ihm. Wenn die Energie sich verändert hat, bedanken wir uns beim anderen. Er hat es uns ja möglich gemacht, über die Resonanz unsere eigenen Gefühle zu fühlen und besser kennen zu lernen.

Wirkliche Heilung kann nur geschehen kann, wenn alles Trennende aufgehoben wird. Nun trennt aber nichts schärfer als die Grenzen zwischen dem, der sich als der Heilende sieht und dem, der angeblich der Heilung bedarf. Diese Tatsache wird oft von denen übersehen, die plötzlich vom gerade modischen Heilungsdrang ergriffen werden.

 

Der Heilungsprozeß muß also vom Kopf auf die Füße gestellt werden, damit die Grenzen zwischen Heiler und Klient sich auflösen können. Dies geschieht mittels einer Übung, besser gesagt, durch Atishas kostbares Ritual.

 

Im Zentrum dieses Rituals steht, daß wir alles, was den anderen bedrückt, in unser Herz aufnehmen: sein Leid, seinen Schmerz, seine Schuld, seine Angst. Umgekehrt senden wir ihm das, was wir an Weite, Wärme, Licht und Liebe in uns haben. Das Ritual ist anspruchsvoll, denn es bleibt ohne Substanz, wenn wir nicht wirklich Schuld, Angst, Leid und Schmerz des anderen mitfühlen, sondern die Worte nur so dahin sagen.

Die Parallele zu Aufforderung: »Ein jeder trage des anderen Kreuz« ist deutlich. Atishas Ritual, die Herz-Heilung, stellt eine der ganz starken Meditationen dar. Wenn wir es schaffen, Schuld, Angst, Leid und Schmerz derer in unser Herz zu atmen, die wir nicht leiden können oder für unsere Feinde halten, und ihnen Weite, Wärme, Licht und Liebe zu senden, besteht Aussicht, das wir das Gefängnis unseres kleinen Ichs überwinden.

 

Ein Brahmane vollzog einst seine tapas in einem Mango Hain unter einem blühenden Mangobaum.

 

Mitten in der Vollmondnacht, während er in seine Meditation vertieft ist, liebt sich oben im Geäst ein Pärchen Nachtigallen und zirpt danach zärtlich.

 

Dies Zirpen irritiert den Brahmanen, der ärgerlich zu den Vögeln empor schaut. Und was geschieht? Die Vögel verbrennen unter seinem zornigen Blick und fallen als Ascheflocken zu Boden.

 

»Donnerwetter, ich bin der größte Yogi aller Zeiten«, denkt der Brahmane bei sich selbst. Und mit Sonnenaufgang macht er sich auf den Weg in die Stadt – denn was nützt es, der größte Yogi zu sein, wenn niemand anderer davon etwas weiß...

 

Am ersten Haus, das er erreicht, verlangt er laut nach Almosen. Die einfache Hausfrau jedoch, die noch nie tapas gemacht hat, ist gerade dabei, ihren behinderten Mann zu waschen. Sie antwortet: »Bitte gedulde dich eine Minute, Mahatma Ji, ich komme gleich.«

 

»Wie kannst du es wagen, mich warten zu lassen?« droht der Brahmane erzürnt. »Du weißt wohl nicht, wer ich bin?«

 

Darauf entgegnet die Hausfrau: »Was denkst du, wer du bist? Und wer, denkst du, bin ich? Du glaubst wohl, du könntest mich ebenso zu

Asche verbrennen wie vorhin die beiden friedlichen Nachtigallen?«

 

Der Yogi vernimmt diese Worte und versteht plötzlich, wie äußerst gewöhnlich das ist, was er für außergewöhnlich hält und wie wahrhaft außergewöhnlich eine gewöhnliche Hausfrau.

 

Die Geschichte zeigt mit dem Finger auf ein großes unter den Suchern grassierendes Missverständnis: nämlich dass es darum ginge, jemand Besonderer zu werden.

 

Dieser Yogi glaubt zuerst auch, besondere Fähigkeiten zu besitzen, die ihn über die gewöhnlichen Menschen hinausheben und ihm besondere Rechte verleihen würden. Doch verglichen mit der Hausfrau, die ihren behinderten Mann pflegt, sind seine Künste bloß Zirkuskünste.

 

Glücklicherweise sieht er das in dem morgendlichen Dialog mit der Frau auch schnell ein. Er ist noch nicht ganz von sich selber und seinen Errungenschaften besoffen, ein Rest von Nüchternheit muss ihm gelieben sein.

 

Solche Nüchternheit empfehle ich allen Suchern, wenn sie eines Tages zu Findern werden möchten. Das Streben nach Besonderheit ist zwar modisch, jedoch neurotisch. Es wird genährt von der Angst vor unseren eigenen Defiziten, und diese Angst haben wir nur, weil wir uns nicht trauen, hinter unsere Maskeraden zu schauen.

 

Wir befürchten nämlich, da sei nichts außer einem großen schwarzen Loch. Da lohnt es jedoch, tiefer zu schauen, mit Neugierde und auch Abenteuerlust. Denn wir können tatsächlich auf den gestoßen werden, der wir wirklich sind und lachend und voller Staunen in diesem grenzenlosen Da-Sein aufwachen.
 

Dann sind wir nicht mehr die Blinden, die mit anderen Blinden über die Farbe debattieren und das wohlige Schwelgen im Duft der Räucherkerzen mit Spiritualität verwechseln.

 

Erwachsene Beziehungen sind Beziehungen, die Wirklichkeit besitzen. Sie umfassen etwas Tieferes als bloß die Erfüllung von Wünschen und gegenseitigen Bedürfnissen. Darum werden solche Beziehungen tatsächlich »vom Himmel beschützt« und verwandeln uns schließlich.

 

Eine erwachsene Beziehung beginnt, wenn wir mit Suchen aufhören und uns klarmachen, dass wir den Liebsten, mit dem wir jetzt in einer Beziehung zusammen sind, ja schon gefunden haben. Warum nicht ihn/sie erkennen – jetzt?

 

Oder betrachten wir unsere gegenwärtige Beziehung als bloß vorläufig? Als Parkstation bis zum Auftauchen eines wahren Königs, einer wahren Königin? Als Warteschleife vor der erhofften Begegnung mit dem »Seelenzwilling«?

 

Vergiss es – solche Erwartungen, solche Hoffnungen sind nichts Reales, sie existieren lediglich als Film, den du selber drehst, in Personalunion als dein eigener Drehbuchautor, Kameramann, Regisseur, Kinobesitzer und einziger Zuschauer im Kinosessel. Und es wäre eigent-

lich deine Entscheidung, welchen Platz du in deinem Leben einnehmen willst – den im Kinosessel oder jenen, der von deiner Geburt her dein angestammter ist: eingetaucht in diese unbegreifbare Ganzheit des Seins, in die Stille und in die Fülle.

 

Erwachsene Beziehungen stellen für die Verwandlung deines Lebens in etwas Wirkliches fantastische Hilfsmittel bereit: zum Beispiel um dein Ego ein bisschen kleiner zu machen, das ja mit seinem gewöhnlichen Volumen keineswegs durch die schmale Pforte passt, die deine Wunsch-Filme über die Liebe vom Bezirk der wirklichen Liebe trennt.

 

In einer erwachsenen Beziehung hörst du auf wegzulaufen, hörst auf, ständig Bedingungen zu stellen und bekommst die Chance geschenkt, deinen Liebsten, deine Liebste zu erkennen als den Spiegel des Einen und des Einsseins, in dem sich alles Überflüssige auflöst.

Und schon reicht eure Existenz ein Stückchen über eure Egos hinaus... Erwachsene Beziehungen sind wie: zwei Kartoffeln treffen sich in einer Schälmaschine...Liebe ist heilig, erwachsene Beziehungen werden es.

 

Wenn wir nach der Energiearbeit in der Gruppe beieinander sitzen, hält uns noch lange der Raum der Stille. Kommen dann nach einer Weile die ersten Worte, erzählen sie von Weite, ja Unbegrenztheit, vom tiefen inneren Frieden und von der Verbundenheit mit dem Einen. Jeder versteht in diesen Minuten, was mit dem Wort »Essenz« gemeint ist, weil jeder gerade Essenz erfährt, und zwar nicht auf der bloß begrifflichen Ebene, sondern auf eine umfassende Weise als sein ursprüngliches Wesen.

Nachher wird dann regelmäßig dieselbe Frage gestellt: »Wie kann ich diesen Raum in meinem Alltag erleben? Was, wenn es in der Beziehung kriselt oder ich im Beruf unter Druck stehe? «Tatsächlich ist dies die entscheidende Frage: Wie kann ich im Alltag in Verbindung mit dem sein, der ich ursprünglich bin? Oder, dieselbe Frage aus einer anderen Perspektive gestellt: Woran liegt es, dass wir so selten »wirklich« sind? Warum leben wir die meiste Zeit aufgespalten in eine Problem beladene und mit sich selber und anderen kämpfende Alltagsperson und eine »Sonntags-Person«, die sich zwar nach Frieden und Nächstenliebe im täglichen Leben sehnt, sich im Alltag aber doch immer wieder in die selben alten Probleme verstrickt findet?«

Tatsache ist, alles, was uns mit dem Geschenk des Lebens zugekommen ist, bleibt in uns erhalten. Der Keim der Seele, die Herkunft aus dem Einen, die Essenz - es ist unzerstörbar. Es bleibt innerer Bestand, auch wenn der Zugang verschüttet wurde. Selbst in Resignation und De-

pression erreichen uns die indirekten Signale unserer Essenz in Gestalt der Sehnsucht nach einem anderen Zustand. Und sogar wenn wir abstreiten, dass es etwas wie Essenz oder Seele oder das Eine überhaupt gibt, können wir eben in dieser Energie der Verneinung das Echo der Essenz vernehmen.

Aber nochmals: wie die Spaltung aufheben und die Verbindung mit der Essenz im Alltag aufrecht erhalten, die durch die Energiearbeit so unabweisbar präsent wird? Wir müssen auf zwei Ebenen gleichzeitig arbeiten – auf jener der Energiearbeit und auf jener der Klärung der Bil-

der, die wir uns vom Leben und von uns selbst machen. Würden wir uns allein mit der Klärung unseres Persönlichkeitsbildes beschäftigen, sind erfahrungsgemäß oft nur neuerliche Verstrickungen die Folge. Beim endlosen Psychologisieren über unsere Befindlichkeiten kreisen wir doch wieder bloß um die eigene Person.

 

Allein Energiearbeit würde uns zwar immer wieder etwas von der Essenz schmecken lassen, doch die Brücke zum Alltag bliebe ohne das tragfähige Fundament. Was ist ein Blick ins Licht wert, wenn er als »very special highlight« gesehen wird und am Montagmorgen erneut die

schlechte Laune regiert? Die Energiearbeit und die Klärung, sozusagen im Doppelpack, führen hingegen viel weiter. Das Eintauchen in den Raum des Einen, in dem wir uns jenseits der Grenzen der Person erleben, öffnet die Sicht auf die Grenzen, die wir uns durch Meinungen, Weltanschauungen, Ideologien, selber setzen und macht sie nicht nur durchlässiger, sondern auch zugänglich für den kritischen Blick.

Wir beginnen zu verstehen, und zwar aus einer übergeordneten Warte, wie die Urteile, im Verlauf unserer persönlichen Geschichte, in unsere Köpfe gekommen sind und wir lernen unterscheiden zwischen unserer Person und unserem Wesen.Und das auf diese Weise gewonnene Mehr an Klarheit lässt uns in der Energiearbeit noch offener und damit unbelasteter durch Erwartungen sein. In der Folge können wir noch tiefer »eingetaucht werden« in denRaum des Einen.

 

Schließlich werden wir immer fähiger, uns im Alltag, so wie er ist, zu bewegen, ohne das wahre Herz zu kompromittieren. Wir beginnen, unser Leben im Einklang mit den Werten der Essenz zu gestalten. Wir hören auf, den Leben unsere Bedingungen diktieren zu wollen und

schwimmen im Meer – der Fisch im Wasser ist nicht durstig, sagt ein berühmtes Sprichwort.

 

Der Alltag ist das Leben. Das Leben ist der Alltag. Hier ist uns die Aufgabe gestellt, »wirklich« zu sein und dieses Sein mit den Mitmenschen zu teilen. Nicht nur im Urlaub oder zu Weihnachten im eigenen Leben anwesend zu sein, sondern jeden Tag, auch im Beruf, beim Staubsaugen und beim Bügeln, beim Rasen mähen und beim Zähne putzen, das macht ein spirituelles Leben aus. Vom Besonders-Sein halte ich nichts. »Spirituelle Errungenschaften« gehen genau in dem Augenblick flöten, in dem man glaubt, welche zu besitzen.

 

Für den Finder gelten gewisse Grundsätze der Selbstverantwortung. Zum Beispiel stellt er keine überflüssigen Fragen – das sind solche, auf die er die Antworten eigentlich selber schon weiß. Er lenkt auch nicht ab indem er behauptet, nicht zu verstehen, was gesagt wurde.

Wir verstehen das meiste, wenn wir es nur verstehen wollen. Es ist lediglich eine Frage des Mutes, zu realisieren, was wir im Innersten sowieso schon wissen; Mut, weil das innere Wissen oft im Konflikt steht mit den äußeren Bequemlichkeiten und Gewohnheiten.

Ein Finder fragt auch nicht lange nach Konzepten und Erklärungen, sondern setzt sich zuallererst der Erfahrung aus. Er experimentiert, probiert Neues, fühlt sich in ungewohnte Perspektiven ein, begeht unbekannte Pfade.

Für die existenziellen Dinge, für das Sein, gibt es keine rein rationalen Erklärungen. Wer wirklich wissen will, dem nützen Bücherlesen und Vernünfteleien nichts, er muss sich auf das ungeteilte Leben einlassen und seine subjektiven Begrenztheiten kennen und überwinden.

1. Übung: Mache dir klar, dass du sterben wirst. Der Tod ist kein Verhandlungsgegenstand. Denn alles was lebt, wird auch sterben. Sprich diese Tatsache laut aus, benutze deine Stimme. Sag laut und deutlich zu dir selbst: »Ich werde eines Tages sterben und übernehme die ganze Verantwortung dafür.« Sprich den Satz wirklich laut aus. Ihn nur zu denken genügt nicht, dann ist keine Kraft dahinter. Erkenne die Wahrheit dieses Satzes.

Alles was du jetzt von dir kennst, wird eines Tages nicht mehr da sein. Nichts von dem, was du jetzt besitzest, kannst du mitnehmen. Das ist eine Tatsache. So ist die Lage. Die Verantwortung dafür zu übernehmen, ist ein Schritt in Richtung Wahrheit.

2. Übung: Übernimm die Verantwortung für deine Gefühle. Finder wird man, indem man erkennt, dass wir selber es sind, die sich ihre Gefühle, ihre Gedanken, ihre Empfindungen machen.

Nicht der andere ärgert oder erfreut mich, sondern ich bin es, der sich vor dem Hintergrund meiner eigenen Konzepte, Weltbilder, Meinungen über das ärgert oder freut, was ein anderer sagt. Gefühle sind ebenso wenig objektiv wie Gedanken, sondern durchaus subjektiv.

Sie können so oder anders sein und wechseln je nach Interesse. Sprich, wenn immer du dich mit Gedanken und Gefühlen identifiziert hast, für dich selber laut und deutlich aus: »Dies sind Gedanken und Gefühle, sie sind subjektiv. Nichts davon kann ich mit ins Grab nehmen«.

3. Übung: Menschen verstecken ihre wahre Natur vor sich selber. So werden aus unbegrenzten Energiewesen in die eigene Zwangsjacke verliebte Automaten. Benutze deine Stimme und sprich zu dir laut und deutlich: »Ich bin unbegrenzt, weil ich ein Mensch bin. Für mein Menschsein öffne ich meine Grenzen.«

Handle gegen alte Gewohnheiten, vor allem gegen die Gewohnheit, dich als Opfer und abhängig von den Umständen zu fühlen. Herauszufinden, wer wir wirklich sind, das sind wir dem Leben schuldig. Und dem Tod. Beide sind Pole des Einen. Ängstlichkeit und Unbeweglichkeit sind unsere größten Feinde.

4. Übung: Ein wahrer Finder weiß, dass er zu Dank verpflichtet ist. Er ist seinen Eltern dankbar für das unschätzbare Geschenk des Lebens. Er ist seinen Liebsten dankbar für das unschätzbare Geschenk liebevoller Begegnung und Hingabe. Er übernimmt die Verantwortung für das, was ihm gegeben wurde.

Wurde dir eine Erkenntnis, eine Einsicht, eine Lehre vermittelt, dann bist du von dem Augenblick an verantwortlich für sie. Und zwar für den Rest deines Lebens.

Die Verantwortung, zu sehen wer und was uns unterstützt und dafür zu danken, liegt bei uns. Indem wir für das bezahlen, was wir bekommen haben, werden wir frei. Ohne das verstricken wir uns.

Ein Wesen, das von seinem Tod weiß, hat alle Ursache, Verantwortung zu übernehmen. Ohne diese Verantwortung wären wir bloße Egomanen.

 

Ein Trainingsteilnehmer äußerte neulich, dass er wohl seinen Job im Vertrieb einer großen Firma aufgeben müsse, wenn er in seinem Alltag den Werten des Herzens folgen wolle. Er fühlte sich ohnmächtig gegenüber dem materiellen Erfolgsdruck und angesichts des harten Konkurrenzkampfes unter seinen Kollegen.

Zusammen mit anderen Teilnehmer habe ich ihm widersprochen und geraten, seinen Job weiter zu machen, anstatt auszusteigen. Warum? Weil einfach auszusteigen, um Konflikten aus dem Weg zu gehen, nichts mit Herz zu tun hat. Wir leben in einer Welt der Gegensätze und Widersprüche. Die Konflikte spielen sich in uns selber ebenso ab wie in unseren Beziehungen und im Beruf. Und eben weil wir sie in uns tragen, nehmen wir sie überall mit hin, auch auf jede Flucht oder in jeden Ausstieg.

Auch stehen die Werte des Herzens nicht einfach im Gegensatz zu den Schatten. Neid, Konkurrenz, Geiz und Gier sind nicht einfach Gegenpole zur Liebe, denn die Liebe des Herzens besitzt eine Qualität, die aus dem Raum jenseits der Pole stammt. Und weil sie ihren Ort jenseits der Pole hat, versöhnt sie zwischen den Gegensätzen und heilt die Spannungen.
 

Nun gehört es zur Weisheit des Lebens, dass die Span- nung zwischen den Polen erst einmal genau jene Reibung erzeugt, durch die wir uns den Zugang zum Herzen und seinen Werten erarbeiten können. Anstatt Reibung kann man übrigens auch Leiden sagen... Durch diese Spannung lernen wir unsere begrenzten Selbstbilder mit ihren Urteilen über uns und die anderen kennen sowie unsere Ängste mit ihrer destruktiven Dynamik.

Der materielle Erfolgsdruck und der Verdrängungswett- bewerb unter den Kollegen, worunter der zitierte Teilneh- mer leidet, können, genau besehen, demnach als Helfer auf dem Weg in das Herz verstanden werden.

Halten wir die Reibung aus und bemühen uns stets um ein offenes Herz, entsteht eine subtile Energie. Sie öffnet einen neuen Horizont und einen neuen Blick auf die Mitmenschen. Wir sehen die Welt dann nicht mehr bloß als eine Ansammlung von Tätern und Opfern oder als eine Folge von Dschungelkämpfen um Macht und Überleben.

Jemand, der aus dem Herzen zu leben gelernt hat, ist weder Opfer, noch Täter, noch Dschungelkämpfer, sondern ein Mensch, der sich anderen Menschen zuwendet. Er sieht die Dinge so wie sie sind und trägt so, ohne als Missionar aufzutreten, zum Bau einer menschlichen Welt bei.

Hier in den offenen Seminaren sowie im Herz-Projekt gibt es jede Unterstützung für diesen Weg.

 

Junaid war ein berühmter Sufi-Lehrer und bekannt dafür, dass er jede sich bietende Gelegenheit nutzte, um seinen Schülern etwas beizubringen. Eines Tages ging er mit den Schülern über einen Wochenmarktmarkt, als ein Bauer, der am Strick seine Kuh führte, ihren Weg kreuzte.

»Halt, warte einen Moment«, rief Junaid dem Bauern zu und, zu den Schülern gewandt: »Kommt her zu diesem Bauern hier mit der Kuh, ich will euch etwas zeigen. Die Schüler kamen neugierig herbei und auch der Bauer war neugierig, zu welcher Demonstration Junaid, dessen Ruhm als Mystiker auch ihm bekannt war, ihn und seine Kuh brauchen würde.

Junaid fragte seine Schüler: »Wer ist hier durch den Strick an wem festgemacht? Die Kuh an dem Bauern oder der Bauer an der Kuh?«
Die Schüler antworteten: »Natürlich die Kuh am Bauern, der Bauer ist der Herr, er führt die Kuh am Strick und sie muss ihm folgen, wohin er auch geht. Er ist der Herr, sie ist der Sklave.«

Junaid: »Dann passt einmal auf!« Er nahm eine Schere und zerschnitt den Strick. Im nächsten Augenblick war die Kuh auf und davon und der Bauer rannte schreiend und gestikulierend hinter ihr her.

Und wieder Junaid: »Seht ihr, was passiert? Jetzt wird deutlich, wer hier der Herr ist und wer der Sklave, die Kuh ist davongelaufen, der Bauer rennt hinter ihr her.« Nach einer Weile kam der Bauer sehr ärgerlich, außer Atem und ohne Kuh zurück: »Was soll das, was für ein
Experiment soll das gewesen sein?«

Junaid wandte sich wieder an seine Schüler: »Mit eurem kleinen Ich verhält es sich genauso. Der ganze Unsinn, das ganze Zeug, das ihr mit euch herumschleppt, ist an euch nicht im mindesten interessiert. Ihr seid es, die es fest halten und sich dabei verrückt machen. Ihr seid an eurem Zeug interessiert und niemand sonst. Und in dem Augenblick, wo ihr aufhört, daran festzuhalten, wo ihr versteht, wie nutzlos und überflüssig es ist, wird das Zeug verschwinden, wie die Kuh wird es das Weite suchen...

 

Im Lauf eines Jahres ereignen sich manche denkwürdige Szenen in den Seminaren. Und die eine oder andere wirft durchaus ein Schlaglicht auf allgemeine Entwicklungen in unserer Gesellschaft, bringt eine Tendenz wie unter ein Vergrößerungsglas. Wir arbeiteten Anfang des vergangenen Jahres über das Thema Mann/Frau, und die Männer unter den Teilnehmern hatten eben ein Spiel beendet, aus dessen Verlauf die Frauen jenen Mann bestimmen sollten, der für sie die positiven männlichen Eigenschaften am deutlichsten verkörperte.

Nach kurzem Nachdenken stellte sich die überwiegende Mehrzahl der Frauen hinter einen Teilnehmer, und eine nach der anderen zählte die Eigenschaften auf, die entsprechend ihrer Einschätzung diesen Mann besonders männlich erscheinen ließen. Folgende Eigenschaften wurden von den Frauen besonders häufig und lobend genannt: Stärke, Charakterfestigkeit, er steht für sich ein, strahlt Klarheit und Ruhe aus, behauptet seinen Standpunkt auch gegen Widerstände, ist warmherzig und dabei durchsetzungsfähig, hört anderen zu und überzeugt sie dann, besitzt Führungsanspruch, Weitblick und Autorität, an ihm kann man sich auch reiben, er vermittelt Sicherheit und Geborgenheit...

Derart ging es dahin, dass es dem Teilnehmer so recht in den Ohren klingelte und sich eine geradezu begeisterte Stimmung in der Gruppe ausbreitete. Als alle Frauen ihren Kommentar abgegeben hatten, fragte ich sie, ob sie denn mit einem solchen Mann, dessen Eigenschaften sie so begeistert feierten, auch verheiratet sein wollten. Die Antwort lautete knapp und deutlich: »Nein!« Was die Stimmung im Nu und drastisch abkühlte. Das Nein kam von einer Teilnehmerin, die sich als eine Meinungsführerin unter den Frauen profiliert hatte.

Andere Teilnehmerinnen reagierten zuerst erschrocken, stimmten dann aber auch zu. Nein, mit einem solchen Mann verheiratet sein würde ja bedeuten – und hier Hut ab vor so viel Ehrlichkeit – dass man ihn nicht so leicht manipulieren könne. Im weiteren Gespräch räumten ausnahmslos alle Frauen ein, in ihren Beziehungen über den Gang der Dinge zu bestimmen.

Wie reagierten die Männer auf dieses Nein? Keineswegs aufbegehrend, nicht mit lautem Widerspruch, sondern seltsam passiv, bedrückt, auf dem Rückzug. Sie äußerten Schuldgefühle, als Männer irgendwie nicht in Ordnung zu sein, fühlten sich hilflos. Auch räumten sie ein, in ihren Beziehungen würden vor allem die Frauen bestimmen. Über die Häufigkeit der Sexualität sowieso wie auch über die Urlaubsplanung, die Haushaltsführung, die Erziehung der Kinder. Und angesichts der vorherrschenden Unzufriedenheit ihrer besseren Hälften fragten sie ratlos: »Was wollen die Frauen? Wir verstehen sie nicht und rätseln nur noch, was wir falsch machen.«

Misandrie? Läuft wieder einmal (oder besser: immer noch) etwas schief im Verhältnis zwischen Männern und Frauen? Es hat ganz den Anschein. Man kann, was da läuft, so charakterisieren wie Shalka und ich aus unserer jahrelangen Beobachtung in den Gruppen es tun, nämlich dass wir seit Jahren eine zunehmende Abwertung der Männer durch die Frauen beobachten. Oder man hört dem Prof. Dr. Gerhard Amendt vom Institut für Geschlechter- und Generationenforschung an der Universität Bremen zu, der sagt: »... dass sich in den letzten 20 Jahren eine diffuse Feindseligkeit gegenüber Männern breit gemacht hat. Man begegnet ihr besonders oft an Universitäten, aber ebenso in TV-Redaktionen für Frauenbelange und vor allem in Gleichstellungsbürokratien. Das Feindselige ist so alltäglich geworden, dass schon kleine Jungen als Monster vorgestellt werden. Wie in einer Plakataktion des Bundesfamilienministeriums unter dem Titel

„Mehr Respekt vor Kindern“ geschehen, die Jungen als die Gewalttäter der Zukunft porträtiert.«

Oder man drückt es so temperamentvoll und persönlich aus wie eine Teilnehmerinm neulich. Sie schimpfte: »Ich habe die Nase voll von dem Spiel der Frauen, den Mann zum Schlappi und dem der Männer, die Frau zur Zicke zu machen.« Womit sie die Last (oder gar Lust?) der Täterschaft wie auch des Opferseins auf beide Seiten verteilt sieht.

Täter–Opfer
Ich habe mal zum Stichwort »Misandrie«(Fachausdruck für Männerfeindschaft) gegoogelt und ein paar der Seiten angeschaut, die die Suchmaschine lieferte. Interessantes Material, einiges davon ziemlich heftig. Auch dort wird unisono festgestellt, wie passiv sich die Männer verhalten, wie sie eher noch kleiner werden angesichts ihres schlechten Images in den Medien – Trottel oder Lustobjekt. Warum wehren sie sich nicht gegen ihre Vertrottelung? wird gefragt. Warum so passiv?
 

Die Männer also als Opfer diesmal? Hängen sie in den Seilen? Oder rächen sie sich doch heimlich, durch Erfinden von Blondinenwitzen vielleicht? Was indessen schief läuft zwischen Männern und Frauen, ist das vertraute Täter-Opfer-Spiel, dessen Wurzeln bekanntlich in

die Anfänge der Menschheit zurückreichen: Als Adam sich von Eva bequatschen ließ und mit ihr zusammen den Apfel vom Baum der Erkenntnis aß.

Die typische Story vom männlichen Opfer! Eva war Schuld, Adam konnte nichts dafür. Er rächte sich für die Vertreibung aus dem Paradies, indem er dafür sorgte, dass Frauen keine katholischen Priesterinnen werden dürfen. Jetzt war die Frau das Opfer. Adam hatte

Schuld, Eva konnte nichts dafür. Und rächte sich durch die Erfindung der Beziehungsbuchführung, nämlich der Auflistung aller männlichen Verfehlungen bis zurück zum ersten Tag der Begegnung (»du wolltest nur Sex, hast mich nicht wirklich als Frau wahrgenommen...«). Adam kann nichts dafür, Eva ist Schuld.

Und so geht es weiter: Bis in eine ferne Science-Fiction-Zukunft wohl, wenn Irgendwelche Machos die für die Frauen reservierten Parkplätze im Orbit des dritten Einkaufsplaneten vom System Aldebaran mit ihren getunten Raumrennern belegt haben. Bewusstlos und gefühlsverkrüppelt wie Männer eben sind...

Satire beiseite – was macht denn das Täter-Opfer-Spiel so attraktiv, dass sich in anderen Zusammenhängen durchaus vernünftige Leute beim Thema Mann/Frau so bereitwillig vor allem in der Rolle des Opfers sehen? Es sind die versteckten Belohnungen des Opferdaseins: Das Opfer ist der Verantwortung für seine Handlungen wie auch für seine Gefühle enthoben. Beides wird den Umständen, für die man ja nichts kann und, besser noch, einer anderen Person zugeschoben. Daran wird deutlich, dass es sich um ein Machtspiel handelt, mit dem

das Opfer das Tun und Lassen der Menschen in seiner Umgebung manipuliert. Und hier liegt die Ursache dafür, dass mir bei so manchem Diskussionsbeitrag zum Thema Männerfeindschaft unwohl ist.

Nach Jahrzehnten der Frauenbewegung, von der ein Teil mit erheblicher Militanz die Männer zum Tätern erkärt und damit entwertet hat, fällt vielen Männern nichts besseres ein, als im Täter-Opfer-Schema zu verharren und den Spieß nur umzudrehen. Das ist so langweilig, so unmännlich und kann auch zu keiner Klärung beitragen. Es dürfte doch hinlänglich bekannt sein, auf welche Weise in der Beziehungsdynamik Täter und Opfer nicht nur einander brauchen, sondern auch ständig die Position wechseln. Jeder Täter erlebt sich ebenso als Opfer seines Täterseins und jedes Opfer weiß – auch wenn es sich gern unwissend stellt – mit welchen Tricks es sich die heimlichen Belohnungen des Opferseins verschafft, also zum Täter wird.

Einen wesentlichen Beitrag zum Gedeihen eines jeden Dramas leistet das Publikum. Gäbe es nicht den Zuschauer, der aufgrund seiner eigenen Geschichte die jeweilige Täter-Opfer-Affäre unbewusst benutzt, um auf dem Weg der Parteinahme eigene Sehnsüchte, Enttäuschungen und Erwartungen abzureagieren, die unmittelbar Beteiligten würden schnell die Lust am Spiel verlieren. Einfach weil keiner mehr zuhört.

Mann und Frau: Pole sind keine Gegensätze
Zu den Denkgewohnheiten unserer Zivilisation gehört es, Gegensätze zu konstruierten, wo keine sind. Licht hält man für das Gegenteil von Dunkelheit, Wärme für das Gegenteil von Kälte, Nähe für das Gegenteil von Ferne. Schauen wir genau hin, handelt es sich jedoch keineswegs um Gegensätze, sondern um Pole, die einander bedingen: Ohne Dunkelheit kein Licht, ohne Kälte keine Wärme, ohne Ferne keine Nähe. Ohne den einen Pol, gäbe es den anderen nicht, sie können nicht von einander getrennt werden. Sie repräsentieren die ursprüngliche Einheit jenseits der Pole.

Das Gegensatzdenken spielt nun aber gerade auch in der Mann-Frau-Dynamik eine unselige Rolle. Man schreibt Männern die einen, Frauen die anderen Eigenschaften zu und suggeriert, dass diese im Gegensatz zueinander ständen. Sehr gern zum Beispiel wird der Mann als aggressiv, die Frau jedoch als im Wesen friedfertig beschrieben. Der oben zitierte Prof. Amendt stellt indessen unter Berufung auf seine Forschungsergebnisse fest, 65% der häuslichen Gewalt würden von den Frauen ausgehen.

In Wahrheit sind Männer wie Frauen einfach nur Menschen und gleichermaßen aggressiv wie auch friedfertig, gleichwertig und dabei doch verschieden. Bleiben wir einen Moment dabei: was ist Aggressivität eigentlich? Genau besehen handelt es sich um die Verzerrung von so essenziellen Energien wie Stärke, Führungskraft, Kreativität. Sie kommen bis zur Unkenntlichkeit verzerrt heraus aus Gründen, die in der jeweiligen persönlichen (traumatischen) Geschichte liegen.

Wieder haben wir es mit Polen zu tun: dem Pol der Essenz und dem ihrer Verzerrung. Gäbe es nicht die Essenz, könnte sie nicht verzerrt werden. Und umgekehrt: Aus der Verzerrung können wir auf die Essenz schließen und zu ihr zurückfinden. Genau das verstehe ich unter integrierender Arbeit: heilende, versöhnende innere Prozesse, die mit dem verbinden, was an Essenz von Anfang an da ist und darauf wartet, endlich erfahren zu werden.

Was Meditation nicht ist Sie ist kein Zweig der Wellness-Industrie. Ist nicht schönes Dösen, unterstützt von easy-listening-music und Räucherkerzen. Was Meditation ist Sie ist am Anfang eine Praxis und wird später zu einer inneren Haltung. Mit der Folge durchaus von Wohlgefühl. Doch stammt dieses dann aus der Klarheit einer ganz entspannten Gewahrsamkeit, während Wellness einfach nur trancehafter Selbstgenuss ist. Der darf natürlich auch mal sein, ist aber keine Meditation.

Stell dir vor, du setzest dich still hin und beginnst zu beobachten, was in deinem Verstand vor sich geht. Wenn du das schon einmal gemacht hast, wirst du erfahren haben, wie schnell dich deine Gedanken sozusagen übernehmen und in einen Film befördern wollen. Im Handumdrehen bis du zu einem Hauptdarsteller dieses Films geworden, schläfst mit offenen Augen. Bis du, hoppla, merkst, dass es ja gar nicht Realität ist, was dich da eingefangen hatte, sondern bloß ein längeres Gedankenspiel. Eine Folge von Vorstellungen und Ideen und Gefühlen, mit denen du dich identifiziert hattest.

Stell dir jetzt vor, du beobachtest, wie ein Gedanke auftaucht, nur lässt du ihn einfach Gedanke sein und beobachtest weiter, wie er wieder verschwindet. Und ein weiterer Gedanke auftaucht, wieder verschwindet, ein dritter kommt und wieder geht. Du greifst nach nichts und brauchst darum auch nichts loszulassen.

Mit der Zeit wirst du in der Lücke zwischen dem was geht und dem was kommt klare, unverfälschte, frische und unmittelbare Welterfahrung kennen lernen. Eine von keinen Konzepten getrübte Präsenz. Eine Stille, in der alles enthalten ist und nichts ergriffen wird. Und nicht einmal die Stille ergreifst du... 

Der Gewinn für den Alltag liegt unter anderem darin, dass du dich bei zunehmender Praxis immer weniger mit deinen persönlichen Problemen identifizierst. Die Abhängigkeit von Umgebungsreizen wird geringer und umso stärker die Fähigkeit, die Gedanken kraftvoll auszurichten und auch eine Weile ausgerichtet zu halten.

Das kommt allen Lebensbereichen als gewachsene Fähigkeit zugute, zu denken und zu handeln, was man wirklich denken und handeln will. (Anstatt dass »es« einen denkt und handelt.) Du wirst gelassener und offener für das Leben in seiner Gesamtheit.

Neulich fragte mich jemand,der wie auch ich Anteil nimmt an den politischen Ereignissen der Zeit, ob wir nicht längst verzweifeln müssten an dem offenkundigen Gegensatz zwischen dem, was für die Erde und die Menschen eigentlich dringend getan werden müsste und dem, was tatsächlich geschieht und jeden Tag in der Zeitung steht: Kriege, Arbeitslosigkeit,die sich vertiefende Kluft zwischen Arm und Reich, ungebremste Zerstörung der Natur, zunehmender Verlust an Menschlichkeit.

Ja,verzweifeln könnte man tatsächlich – doch es wäre weder ehrlich, noch von Nutzen. Wir würden uns nämlich über der Verzweiflung die Einsicht ersparen, dass die Konflikte im Äußeren auch jene sind, die sich in unserem eigenen Inneren widerspiegeln. Ich beziehe mich dabei sowohl auf die eher harmlosen Konflikte zwischen unseren guten Absichten und dem was wir tatsächlich im Alltag tun als auch auf jene Kräfte,die uns in bestimmten Situationen zu durchaus destruktiven Handlungen veranlassen. Ich meine die so ungeliebten Schatten.

Die Schatten sind jene Aspekte unserer Person, die wir auch die dunkle Seite oder unsere Nachtseite nennen können, ohne dass wir allerdings mit dieser Bezeichnung gleich eine moralische Wertung verknüpfen sollen, denn sie ist wörtlich zu verstehen. Der Ausdruck »dunkle Seite« beschreibt, dass es sich um Anteile unserer Persönlichkeit handelt, nämlich Eigenschaften, Wünsche und Bedürfnisse, die wir selber nicht wahrnehmen oder die uns nur selten bewusst werden. In Bezug auf sie tappen wir buchstäblich im Dunklen – jedenfalls die meiste Zeit und wenn wir den Alltag ohne ausreichende Achtsamkeit verleben.

Sind wir hingegen achtsam für uns selber wie auch für unsere Umwelt,können wir bei zahlreichen Anlässen etwas über unsere Schatten erfahren. Alle Beziehungen zum Beispiel pflegen regelmäßig eine Dynamik zu entwickeln, die unsere Schatten an die Oberfläche bringt,dabei spielt es auch keine Rolle, ob wir uns der anderen Person tief verbunden fühlen, sie ablehnen oder sie eben erst kennen gelernt haben. Allein das Vorhandensein eines anderen und wie wir seine Erscheinung, seine Worte und Handlungen wahrnehmen und beurteilen,löst diese Dynamik schon aus.

Wie funktioniert das? Wann immer ich eine Person wahrnehme, wird diese Wahrnehmung – der Anblick, die Worte, die Gesten des anderen – wie gefiltert durch das Raster meiner eigenen Wirklichkeit und entsprechend interpretiert. Ich setze mich also, und das ist unvermeidlich, selber zum Maßstab meiner Wahrnehmung wie auch meiner Interpretation und verwende bei allen Wertungen meine eigenen inneren Qualitäten als Kategorien.
 

gieren. Verständnislos: »Was, ich soll musikalisch sein?

Ich verstehe überhaupt nichts von Musik,ich beneide Leu-

te,die musikalisch sind.«

Oder aufgebracht: »Was, ich soll arrogant und stolz

sein? Das hat mit mir doch nichts zu tun,wenn ich mich

über solche Leute ärgere!«

In beiden Fällen handelt es sich um die Projektion eige-

ner Eigenschaften,von denen wir glauben, dass wir sie

nicht besitzen,auf einen anderen Menschen. Oder wir

projizieren unterdrückte Wünsche und Bedürfnisse und

empören uns,was sich andere, zum Beispiel in der Sexua-

lität,erlauben.

Und finden wir uns in Abwehrkämpfe gegen Charakter-

merkmale verwickelt,die wir bei anderen wahrnehmen,

aber selbst nicht zu besitzen glauben, betreiben wir Schat-

tenboxen. Dann passt der Satz aus der Bibel vom Splitter

im Auge des anderen, über dem wir den Balken im eige-

nen übersehen.

Je höher die emotionale Ladung, mit der wir uns gegen

bestimmte Energien,Wertungen und Urteile zur Wehr

setzen,desto mehr haben wir mit ihnen zu tun,treffen sie

direkt oder in der Umkehrung auf uns selber zu.

Was tun,wenn wir die Balken im eigenen Auge ent-

decken? Wie mit den Schatten arbeiten?

Ein guter Beginn besteht darin,sie einfach einmal still

auszuhalten,nicht vor ihnen davonzulaufen. Denn die In-

tegration der Schatten beginnt damit,dass wir ihr Vor-

handensein annehmen und ihnen bis in die Verästelun-

gen der Gefühle,Empfindungen und Gedanken nach-

spüren.

Wir sollten uns stets daran erinnern,dass es sich auch

hier um verzerrte essentielle Energien handelt. Und dass

die Kraft für das innere Wachsen in den Schatten liegt.

copyright Burkhardt Kiegeland 2003

Der Schatten ist jener Aspekt unserer Person, den wir auch die dunkle Seite nennen können, ohne dass wir allerdings mit dieser Bezeichnung eine moralische Wertung verknüpfen sollen, denn sie ist wörtlich zu verstehen. Der Ausdruck »dunkle Seite« beschreibt,

dass unsere Persönlichkeit Aspekte aufweist, nämlich Eigenschaften, Wünsche und Bedürfnisse, die wir selber nicht wahrnehmen oder derer wir nur selten bewusst werden. In Bezug auf sie tappen wir buchstäblich im Dunklen – jedenfalls die meiste Zeit und wenn wir den Alltag ohne ausreichende Achtsamkeit verleben.

Sind wir hingegen achtsam für uns selber wie auch für unsere Umwelt, können wir bei zahlreichen Anlässen etwas über unsere Schatten erfahren. Alle Beziehungen zum Beispiel pflegen regelmäßig eine Dynamik zu entwickeln, die unsere Schatten an die Oberfläche bringt, dabei spielt es auch keine Rolle, ob wir uns der anderen Person tief verbunden fühlen, sie ablehnen oder sie eben erst kennen gelernt haben. Allein das Vorhandensein eines anderen und wie wir seine Erscheinung, seine Worte und Handlungen wahrnehmen und beurteilen, löst diese Dynamik schon aus.

Wie funktioniert das? Wann immer ich eine Person wahrnehme, wird diese Wahrnehmung – der Anblick, die Worte, die Gesten des anderen – wie gefiltert durch das Raster meiner eigenen Wirklichkeit und entsprechend interpretiert. Ich setze mich also, und das ist unvermeidlich, selber zum Maßstab meiner Wahrnehmung wie auch meiner Interpretation und verwende bei allen Wertungen meine eigenen inneren Qualitäten als Kategorien. Wahrnehmung ist folglich, wenn wir diesen Überlegungen nachgehen, stets ein Vorgang, bei dem wir uns verhalten wie die Schöpfer einer universalen Realität, erschaffen nach unserem eigenen Bilde.

Und mit jeder Beschreibung unserer Wahrnehmung wie auch mit jeder Wertung veröffentlichen wir sozusagen unser eigenes Kategoriensystem, geben wir, meist unbewusst, Auskunft über das, was bei uns selber im Licht oder im Dunkeln liegt. Alles, was wir wahrnehmen und benennen können, spiegelt unsere eigene innere Realität.

Würde es sich nicht um die Spiegelung der eigenen inneren Wirklichkeit handeln, könnten wir es nicht wahrnehmen und benennen. Die Menschen und die Umstände, die uns erfreuen, spiegeln folglich ebenso unser Eigenes wider wie jene, die uns frustrieren oder ärgern. Beides zeigt uns einen Bereich unseres Inneren, der in der Regel im Schatten liegt, vor allem wenn es sich um negativ Besetztes handelt.

Wer sich auf die Suche nach sich selber macht und mit diesen Zusammenhängen konfrontiert wird, pflegt häufig erst einmal verständnislos oder sogar aufgebracht zu reagieren. Verständnislos: »Was, ich soll musikalisch sein? Ich verstehe überhaupt nichts von Musik, ich beneide jene, die musikalisch sind.« Oder aufgebracht: »Was, ich soll arrogant und stolz sein? Das hat mit mir doch nichts zu tun, wenn ich mich über solche Leute ärgere!« In beiden Fällen handelt es sich um die Projektion eigener Eigenschaften, von denen wir glauben, dass wir sie nicht besitzen, auf einen anderen Menschen. Oder wir projizieren unterdrückte Wünsche und Bedürfnisse und empören uns, was sich andere, zum Beispiel in der Sexualität, erlauben.

Und finden wir uns in Abwehrkämpfe gegen Charaktermerkmale verwickelt, die wir bei anderen wahrnehmen, aber selbst nicht zu besitzen glauben, betreiben wir Schattenboxen. Dann passt der Satz aus der Bibel vom Splitter im Auge des anderen, über dem wir den Balken im eigenen übersehen.

Je höher die emotionale Ladung, mit der wir uns gegen bestimmte Energien, Wertungen und Urteile zur Wehr setzen, desto mehr haben wir mit ihnen zu tun, treffen sie direkt oder in der Umkehrung auf uns selber zu. Was tun, wenn wir die Balken im eigenen Auge entdecken? Wie mit den Schatten arbeiten? Ein guter Beginn besteht darin, sie einfach einmal still auszuhalten, nicht vor ihnen davonzulaufen. Denn die Integration der Schatten beginnt damit, dass wir ihr Vorhandensein annehmen und ihnen bis in die Verästelungen der Gefühle, Empfindungen und Gedanken nachspüren. Wir sollten uns stets daran erinnern, dass es sich auch hier um verzerrte essentielle Energien handelt.

 

Ich unterscheide zugespitzt zwischen Suchern und Findern. Der Sucher findet nie, weil er sonst kein Sucher mehr wäre. Auch sucht er nicht wirklich innen, bei sich, sondern im Außen.

Will ich innen finden, muss ich alles einer kritischen Prüfung unterziehen, was ich dort antreffe. Es ist darum leichter, außen zu suchen, und es ist auch bequemer, dem aus dem Weg zu gehen, was uns im Außen nicht gefällt. Innen zu suchen ist schwerer, weil ich aufhören müsste, vieles von dem zu beschönigen, was ich dort vorfinde und was aber nicht schön ist.

Was ein rechter Sucher ist, der wandert von Quelle zu Quelle ein Leben lang. Denn überall gibt es nach einer Weile am Wasser etwas auszusetzen. Mal ist es zu hart, mal zu weich, mal zu reich an Mineralen, mal einfach nur Wasser. Ein Sucher ist stolz.

Ein Finder findet sofort und hört nie auf zu finden, er ist eine Art spiritueller Gustav Gans. Erinnerst du dich an Gustav Gans, diesen ewigen Glückspilz und Antipoden von Donald Duck? War er dir unsympathisch? Finder sind in den Augen von Suchern auch oft unsympathisch – im spirituellen Entenhausen... Diese wunderschöne Geschichte ist eine Anleitung, zum Finder zu werden:

Die Grube im Gehsteig. Eine Autobiografie in fünf Kapiteln von Portia Nelson*
 

1. Kapitel

Ich gehe die Straße entlang. Im Gehsteig gähnt eine tiefe Grube. Ich stürze hinein, fühle mich verloren, hoffnungslos. Mein Fehler war das nicht! Es dauert eine Ewigkeit, bis ich den Ausweg aus der Grube gefunden habe.
 

2. Kapitel

Ich gehe dieselbe Straße entlang. Im Gehsteig eine tiefe Grube. Ich tue so, als würde ich sie nicht sehen und stürze neuerlich hinein. Kaum zu glauben: schon wieder ich in derselben Lage - mein Fehler war das nicht! Es dauert einige Zeit, bis ich den Ausweg gefunden habe.

3. Kapitel

Ich gehe dieselbe Straße entlang. Im Gehsteig eine tiefe Grube. Ich sehe sie und stürze trotzdem hinein - einfach weil ich es so gewohnt bin. Meine Augen sind offen, ich weiß, wo ich gehe. Es ist allein mein Fehler! Im nächsten Augenblick schon bin ich hinausgeklettert.
 

4.Kapitel

Ich gehe dieselbe Straße entlang. Im Gehsteig eine tiefe Grube. Ich mache einen Bogen um die Grube.
 

5.Kapitel

Ich folge einer anderen Straße.

*gefunden in: Sogyal Rinpoche: The Tibetan Book of Living and Dying

 

Würden wir uns dem Leben nicht von seinem Ende her nähern, könnte uns niemals die Einzigartigkeit unserer Lage bewusst werden: Hier, an diesem Ort und in diesem Augenblick das einzige Leben zu leben, dessen Realität - wir brauchen uns bloß in den Arm zu kneifen - ganz unbezweifelbar ist.

In diese einzige Gegenwart hinein wurde uns das Leben geschenkt einschließlich der Chance, durch das Leben selber seinen Sinn zu erfahren. Haben wir das Leben verstanden, wissen wir auch, wer wir selber sind. Ein Leben, aus dem der Tod verdrängt wurde, kann kein menschenwürdiges Leben sein, keines, das wir begeistert und dankbar erkunden und feiern, denn in ihm fehlt der Schlüssel zum  Verständnis dessen, was Leben ist und was wir darin sollen. Überdies kommt der Tod, auch wenn wir ihn aus unserer Gegenwart verdrängen, durch die Hintertür wieder herein. Zum Beispiel in der Hilflosigkeit des »medizinisch-industriellen Komplexes« im Umgang mit den Sterbenden. Oder in der wie mit absichtlicher Blindheit betriebenen Vernichtung der Lebensgrundlagen für unsere Kinder.

Wir alle werden sterben und wir wissen nicht wann - diese Tatsache sollte als Antrieb eigentlich stark genug sein, damit wir unsere  Aufmerksamkeit den wirklich existenziellen Fragen zuwenden. Doch als Angehörige dieser nun vollends an den Resultaten  naturwissenschaftlicher Forschung orientierten Zivilisation betrachten wir den Tod aus einer bestimmten Perspektive, die wir gar nicht so ohne weiteres verändern können, selbst wenn wir es wollten.

Aus dieser Sicht stellt der Tod den GAU aller medizinischen Anstrengungen zur Lebensverlängerung dar. Alles verschwindet, was einmal unsere Identität ausgemacht hat: Jeder Glaube, jede Weltanschauung, jede Religionszugehörigkeit, jede Nationalität und ethnische Bindung. Nichts, gar nichts nehmen wir mit, weder den Zorn, noch die Wünsche, nicht die Hoffnungen, und was einmal greifbar war, wird von Würmern und Mikroben schnell in seine mineralischen Bestandteile recyclet - sofern es nicht gleich zu Asche verbrannt wurde.

Es ist nützlich, sich diese meist beiseite geschobenen und nur scheinbar banalen Fakten klar zu machen. Auslöschung und Verfall sind Tatsachen, Glaube und Hoffnung sind – Glaube und Hoffnung. Lässt sich etwas dagegen setzen? Die religiösen Überlieferungen sprechen von Wiedergeburten, vom Paradies, von Ewigkeit.

Aber was nützt uns das? Wir können zwar dem Echo dieser Erzählungen in unseren Herzen nachlauschen, doch in unserem weltlichen Bewusstsein lässt dies Echo den Widerspruch zwischen dem, was wir wissen und der »metaphysischen Spekulation« nur schärfer hervortreten.
 

Darüber kann man resignieren. Oder man geht dorthin, wo die Spannung am schmerzhaftesten ist und beginnt, die existenziellen Fragen so frisch und intensiv sich selber zu stellen, als wären sie nie zuvor gestellt worden. Das Leben hält tatsächlich mehr für uns bereit als die Tröstungen von Glaube und Hoffnung oder den Weg in die Resignation.

Doch um dieses Mehr zu entdecken, besser: wiederzufinden - bedarf es einer veränderten Perspektive. Wir gewinnen sie, indem wir anfangen, den Tod in unsere Vorstellung einzuladen und ihn direkt zu befragen. Zuerst sträubt sich alles in uns, doch bringen wir diesen Mut auf, gewinnen wir schließlich sein Ohr. Uns wird dann etwas von dem als Erfahrung geschenkt, was wir sonst nur glauben oder hoffen könnten. Die Sorte Mut übrigens, die dazu notwendig ist, wurzelt nicht im analytischen Verstand, sondern im wahren Herzen. Das wahre Herz kennt die Aufgabe, die wir in unserem Leben lösen sollen.

Dazu diese Geschichte, zu deren Verständnis man wissen sollte, dass unter den Brahmanen – der Priesterkaste Indiens – das Gesetz herrscht, dass ein Brahmane nach jeweils 5 Jahren seinen ganzen angesammelten weltlichen Besitz aufgeben muss: Ein Brahmane hatte einen Sohn und der Sohn sagte zu ihm: »Du schenkst deinen ganzen Besitz den Leuten. An wen wirst du mich verschenken, zu wem schickst du mich?«

Sein Vater antwortete: »Lass mich in Ruhe, das interessiert mich nicht«. Doch der Sohn ließ nicht locker, so dass der Vater endlich aus Ärger antwortete: »Ich werde dich dem Tod schicken«. Und weil er ein Brahmane ist, muss er sein Wort halten und schickt darum seinen Sohn dem Tod.

Auf seinem Weg zum Tod kommt der Junge zu verschiedenen Lehrern und erfährt von einigen, dass es die Reinkarnation gibt - andere sagen, es gebe sie nicht. Er fährt mit seiner Suche fort und gelangt schließlich an das Haus des Todes. Als er ankommt, ist der Tod nicht da und der Junge wartet drei Tage lang auf ihn. Am vierten Tag kommt der Tod und entschuldigt sich, weil der Junge ein Brahmane ist. Er sagt: »Es tut mir leid, dass du warten musstest und deshalb hast du drei Wünsche frei. Du kannst der größte König werden, den größten Reichtum besitzen oder unsterblich werden.«

Der Junge sagt: »Ich war bei vielen Lehrern und jeder sagt etwas anderes. Was sagst du über den Tod und was kommt danach?« Der Tod sagt: »Ich wünschte, ich hätte Schüler wie dich, die an nichts anderem interessiert sind als an diesem einen.« Und so fängt er an, ihm von der Wahrheit zu erzählen und von jenem Zustand des Lebens, in dem Zeit nicht ist.
 

Vor Jahren sagte nach dem Seminar ein Teilnehmer, evangelischer Pfarrer, zu mir: »Du hast zwar mal von deinem Lehrer den Meditationsnamen Buddha bekommen, doch was ich hier erfahren habe, ist christlich im besten Sinne...« Ein Angehöriger der Humanistischen Bewegung der 60er Jahre fand einmal die Arbeit hier »zutiefst humanistisch«, und ein türkischer Muslime fühlte sich unter Freunden. Ein katholischer Theologe meinte, angesichts dessen, was er hier erlebt habe, käme ihm der Streit um Weltanschauungen unsinnig vor. Ein Psychoanalytiker aus Deutschland sagte mir, das Herz-Projekt sei wie acht Jahre Psychoanalyse, nur menschlicher und geistiger, und ein alter Sannyasin (Schüler von Osho) erklärte, er habe vieles, was er zu wissen glaubte, erst durch das Trainingsjahr

verstanden. Die Mutter einer Teilnehmerin (schon ganze Familien tauchten nacheinander in den Seminaren auf) stellte schließlich fest: »Und dabei gibt es bei euch gar keine festgelegte Richtung oder Anschauungen, die man glauben soll.«

So ist es. Die Arbeit hier ist keiner bestimmten Weltanschauung oder Fraktion zuzurechnen, und es gibt auch nichts zu glauben. Die Arbeit setzt auf die Fähigkeit des menschlichen Bewußtseins, über alle engen Grenzen hinaus gehen zu wollen: Vom kleinen Ich zur Individualität der persönlichen Essenz und weiter in den Raum, wo keine Grenzen mehr sind. Sie folgt der Erfahrung, daß jeder, der nur tief genug in sich hineinblickt, Verbindung mit der Fülle seines Seins aufnimmt und versteht, zu welcher Aufgabe er in dieses Leben geboren wurde: Damit er herausfinde, wer er wirklich ist.
 

Wer ist nun einer wirklich? Das ist mit Worten nicht beschreibbar. Wenn wir mit der Frage »Wer bin ich« in einer Phase des Herz-Projekts (im Enlightenment Intensiv) arbeiten, landen wir nicht bei griffigen Definitionen, sondern in der wortlosen Erfahrung des Seins. Wir können nach dem Prozeß nur mit großer Gewißheit in Negationen sprechen: Menschen sind ihrer Natur nach nicht katholisch, nicht evangelisch, nicht muselmanisch, nicht Psychologen, Theologen, Soziologen, Linguistiker, Poeten, Türken, Afrikaner, Schotten oder Ungarn - dies alles sind nur Äußerlichkeiten.

In ihrem Wesen sind sie vielmehr unfaßbar vielfältige Manifestationen derselben Energie, die im und mit dem grenzenlosen Bewußtsein pulsiert. Angesichts dieser Erfahrung von Einheit und Einssein wirken alle Begriffe, die sich Menschen von sich selber, von anderen Menschen und von der Schöpfung machen, wie grobe Begrenzungen der Wirklichkeit. Sie engen ein, schaffen Barrieren, wo in Wahrheit keine sind, und konstruieren Unterschiede, die bloß für die Oberfläche der Erscheinungen gelten, nicht für ihr Wesen...
 

Wendet jetzt jemand ein, vom unbegrenzten Bewußtsein und vom Sein des Menschen zu sprechen sei bloß Gerede über Illusionen, weil in der »real existierenden Wirklichkeit« diese Grenzen nun einmal existierten, kann ich dem in einem Punkt nur beipflichten: Die Grenzen sind tatsächlich unübersehbar da, ja es sieht gerade jetzt so aus, als würden es jeden Tag mehr: Im Äußeren sehen wir überall neue  Nationalismen aufbrechen und sich mit Waffengewalt bekämpfen. Wir sehen, wie aus Angst vor den hungernden Menschen des Südens sich die reichen Menschen des Nordens in ihren Wohlstandsburgen eingeigelt haben und vieler Orts rassistische Argumente zu hören sind. Wir sehen, und das erscheint auf den ersten Blick harmloser, wie modische Attribute (Identifikation mit Markenartikeln, Sportarten, Automarken, Ferienzielen) an die Stelle von wahrer Individualität getreten sind. Identifikation mit Sachen anstatt Anteilnahme am Menschlichen – das ist ein Kennzeichnen des Narzissmus.

Und die Religionen, die regelmäßig ihre jeweils alleinige Zuständigkeit für die Seele des Menschen und den Zugang zu Gott reklamieren, pflegen verstärkt ihre jeweiligen »Fundamentalismen.« Im Namen »des rechten Glaubens«, den jede Fraktion für sich beansprucht,  errichten sie Grenzen und bekämpfen einander: konservative Theologie gegen Befreiungstheologie, Sunniten gegen Schiiten, Lutheraner gegen Reformierte, Neuapostolische gegen Zeugen Jehovas, Methodisten gegen Scientologen etc. etc.
 

In den Augen der einen sind immer die anderen die Sekte. Man könnte fast vergessen, daß es in Kirchen und Religionsgemeinschaften noch immer einzelne und Gruppen gab und gibt , die das Toleranzgebot der großen Meister der Vergangenheit ernst nehmen und die Gemeinsamkeiten der spirituellen Wege herausstellen. Für die katholische Konfession denke ich da an Hugo M. Enomiya-Lasalle, Bede Griffith oder Raimundo Panikkar, die in diesem Jahrhundert für das Verständnis zwischen der Spiritualität des Ostens und des Westens Großes geleistet haben.
 

Doch wenn ich auch verstehe, daß angesichts der »real existierenden Wirklichkeit« vom Sein und den Seinsenergien zu sprechen als Ausweichen, als Flucht in die Innerlichkeit mißverstanden werden kann (bei vielen New-Age-Vertretern und ihren narzißtischen Praktiken ist es Flucht), weiß ich doch auch, daß die Essenz des Menschen alles andere als Illusion ist, daß sie und das grenzenlose Bewußtsein im Gegenteil »gleich um die nächste Ecke« liegen, wenn wir bloß dort hingingen; einen Geschmack davon haben hier viele unserer Freunde schon bekommen.

Ich sehe, daß mehr Menschen denn je sich ernsthaft auf den Weg machen und auf diese Weise nicht nur sozusagen privat etwas für sich tun. Vielmehr setzen sie Beispiele für innere Freiheit und inneren Frieden in ihrer alltäglichen Umwelt und tragen so ganz unspektakulär und wirksam zur Entwicklung einer menschlicheren Welt bei. Die Betonung liegt hier auf dem Unspektakulären der Wirkung. Was wahr ist, wirkt auf seine Weise, es ist nicht sensationell. Den Weg in die eigene Essenz zum besonderen Ereignis zu erklären, wäre auch nur Narzißmus.

Diese vielen Menschen würden sich nicht auf den Weg machen, spürten sie nicht, daß wir in eine Übergangszeit eingetreten sind, in der wesentliche Grundlagen unserer Zivilisation sich auflösen, weil sie nicht mehr wahr sind (sofern sie es jemals waren), und daß neue Wege gefunden werden müssen , damit die Erde ein bewohnbarer Planet bleiben kann. Die Zivilisation, wie sie sich bis heute entwickelt hat, zerstört den Menschen samt seinem Lebensraum Planet Erde.

Sie würden nicht so ernsthaft an sich arbeiten, wenn sie auf ihrer Reise nach innen nicht schon erfahren hätten, daß es keine  Patentantworten gibt und auch keine Institutionen, - und da beziehe ich die traditionellen wie die neuen Kirchen nebst ihren zahllosen

Abspaltungen ausdrücklich ein -, die dem Menschen die eigene Fragestellung nach dem »Wer bin ich« abnehmen könnten, von beantworten ganz zu schweigen.

Sie sind bereit, zu experimentieren, Fehler zu machen, gefundene Antworten für vorläufig zu halten und besitzen durch diese existentielle Offenheit eine urmenschliche Qualität: sie sind einfach lebendig, sie sind die Verkörperung der Frage: »Wer bin ich«. Es sind Menschen, die aufgehört haben, ihre persönlichen Grenzen und Leiden wichtig zu nehmen und statt dessen begonnen haben, sich als Menschen ernst zu nehmen.

In der »real existierenden Wirklichkeit« besteht das Leben der meisten noch aus lauter konditionierten Begrenzungen, sowohl gegen das eigene Innere, als auch nach außen gegen andere Menschen. Doch immer mehr werden jene, die erkennen, daß die Abgrenzungen nach außen nichts anderes ist als die Folgen der Abgrenzung des einzelnen gegen sein wahres Inneres.

 

Spirituelle Therapie ist das Werkzeug, das uns hilft, die Grenzen gegenüber dem eigenen Inneren aufzulösen. Sie zielt nicht auf das Einnehmen einer heiligen Pose, sondern auf das Verstehen der Prägungen, die unsere Vergangenheit darstellen, damit wir fähig werden

für die Erfahrung des Hier und Jetzt. Damit sollte auch auf der Hand liegen, daß Spirituelle Therapie keine vorfabrizierten Antworten, keine Glaubenssysteme anbietet. Sie wären wieder nur Begrenzungen, die gerade jene Erfahrungen verhindern würden, die uns für das aufschließen, was Menschen wissen und verstehen können.
 

Von den bonbonfarbenen Illusionen, die in den New-Age-Supermärkten gehandelt werden, soll hier gar nicht die Rede sein . Im Weissen Lotus werden sie nicht geträumt, und wer hierher kommt, erwartet derlei auch gar nicht. Weil der Weisse Lotus ein Platz ist für Spirituelle Therapie, konnte die oben zitierte Mutter einer Teilnehmerin feststellen: »Und dabei gibt es bei euch gar keine festgelegte Richtung oder Anschauungen, die man glauben soll.« Niemand soll etwas glauben sollen, jeder hat das Geburtsrecht auf ursprüngliche Erfahrung.

Darum zielt auch meine ganze Arbeit darauf, daß wir wieder offen werden für Erfahrung, für Leben. Der Reichtum eines Menschen liegt nicht in seinen Prägungen, Glaubenssystemen, Ideologien und Vereinszugehörigkeiten, sondern in seiner wahren Individualität jenseits aller Konditionierungen. Er liegt in der unendlichen Vielfalt, die zugleich Einheit ist im grenzenlosen Bewußtsein der Schöpfung.

Übrigens erlebte ich einmal den legendären Boxer Muhammad Ali in einem Fernsehinterview. Nach seinem moslemischen Glauben gefragt, antwortete er: »Wissen Sie, die Flüsse der Welt, der Mississippi, der Ganges, der Rhein, der Gelbe Fluß, tragen alle verschiedene Namen, doch das Wasser, das in ihnen fließt, ist überall dasselbe...«
 

Wie einfach, schön und voll Menschlichkeit ist dieser Vergleich! Toleranz entsteht, wenn einer oder eine Fraktion den Anspruch aufgegeben hat, daß Menschen die ganze Wahrheit des Lebens besitzen können.

 

Es sind stets diese drei Bereiche, mit denen wir es im Leben zu tun haben:
1. Der Umgang mit uns selbst
2. Der Umgang mit unseren Liebsten
3. Der Umgang mit dem Berufsalltag

Und wie sich leicht denken lässt, sind die Bereiche nicht drei voneinander getrennte Lebens-Schubladen, sondern untrennbar miteinander verbunden, sie beeinflussen, prägen sich gegenseitig. Der Umgang mit uns selber stellt das Fundament dar: wie wir zu uns selber stehen,

entscheidet über alles andere. Zu uns selber stehen, dazu sollten wissen, wer wir sind! Hast du die Sehnsucht, herauszufinden, wer du wirklich bist? Und wenn du diese Sehnsucht fühlst, was tust du damit? Verschiebst du sie auf morgen? Oder springst du heute? Der Krämergeist (Geiz ist geil...) wartet immer auf ein Schnäppchen. Der wahre Geist nimmt das Leben jetzt beim Schopf, will jetzt herausfinden, welche Staunen machende, alles erneuernde Entdeckung da im eigenen Inneren wartet. Auch du kannst aus deiner innersten Wahrheit leben, aus deiner Essenz. Auch du kannst dich anstecken lassen von der Energie, die aus dem Einen kommt und mit dir in Resonanz schwingen möchte.
 

Egal ob Single oder in fester Beziehung: Auch in der Begegnung mit unseren Liebsten spüren wir die Sehnsucht nach wirklicher Tiefe, nach Einssein. Sie ist in allen Beziehungen und natürlich auch bei der Suche der eigentliche Antrieb. Wen möchtest du sehen, wenn du deinen Liebsten, deine Liebste anschaust? Deinen Mitspieler, deine Mitspielerin in einem Tanz der universellen Energie? Mit jedem Schritt hin zu deiner inneren Wahrheit öffnest du dich auch ein Stück weiter für die Wahrheit des anderen wie auch für die Quelle, aus der ihr beide kommt. Du kannst aus vollem Herzen geben, nehmen und auch gehen lassen.
 

Mit leichtem Herz, mit leichten Händen – halten und nehmen, halten und lassen. Die so nicht nicht sind, bestraft das Leben, und Gott erbarmt sich ihrer nicht. Diese fünf schönen und weisen Zeilen stammen von Hugo von Hofmannsthal.

 

Meine Lehre? Immer wieder werde ich von neugierigen Menschen nach der von mir vertretenen »Lehre« gefragt. So, als müsse jemand, der als spiritueller Lehrer tätig ist, auch seine eigene Lehre haben...

Am besten fange ich mit einer Sage an: Vor Urzeiten, als sich die Menschen schon weit über die Erde verstreut hatten, ging das Buch der Wahrheit aus dem Leim und seine einzelnen Blätter wurden von den Winden über die ganze Erde verstreut. In keiner Gegend landeten mehr als ein oder zwei Blatt, aus denen in der Folge die Menschen dieser Kulturen die ganze Wahrheit abzuleiten sich mühten. Diese Sage wird seit alters her von Weisen aller Traditionen in der einen oder anderen Form weitererzählt – als Mahnung an die Heißsporne aller Religionen.

Zu denselben Urzeiten soll sich auch die folgende, aus der Chassidischen Überlieferung stammende Geschichte zugetragen haben: Der Teufel und ein Kobold gingen auf der Straße hinter einem Mann her und sahen, wie dieser sich plötzlich bückte und ein Stück von der Wahrheit vom Boden aufklaubte. Der Kobold wandte sich an den Teufel: »Schau dir den an, jetzt ist es vorbei mit uns, jetzt werden wir arbeitslos!« Der Teufel schmunzelte angesichts der Naivität des Kobolds und entgegnete: »Mach dir bloß keine Sorgen. Er mag ein Stück von der Wahrheit gefunden haben, doch für uns fängt der Spaß jetzt erst richtig an! Wir werden ihm nämlich jetzt dabei helfen, eine Lehre daraus zu machen...«
 

Eine, wie ich finde, sehr weise und lustige Geschichte, deren Pointe auf der Hand liegt: Machen Menschen sich daran, auf ihr Stück von der Wahrheit eine Institution, eine allumfassende Lehre zu gründen, erliegen sie regelmäßig der Versuchung, ihr begrenztes Fundstück mit der ganzen Wahrheit zu verwechseln; dann hat eben, um im Bild zu bleiben, der Teufel seine Hand im Spiel.

Denn was kommt bei solchen Ansprüchen auf Absolutheit immer heraus? Unduldsamkeit, Ausgrenzung, Verfolgung, Krieg! Aktuelles  Beispiel ist der von den Fundamentalisten beider Seiten zu einem Zusammenstoß der Kulturen zugespitzte Konflikt zwischen Morgen- und Abendland. Beide Seiten sind überzeugt, Gott auf ihrer Seite zu haben und in seinem Sinne zu handeln. Das ist schrecklich. Was muss in den Köpfen von Leuten vorgehen, die von siuch behaupten, den Willen Gottes zu kennen oder in seinem Namen zu sprechen?

Nein, eine Lehre im Sinne der ungezählten Ideologien oder Religionen wird man bei mir nicht finden. Aber »Wasser«. Wasser? Ja Wasser! Denken wir an die großen Flüsse der Erde: die Themse, den Rhein, den Mississippi, den Ganges, den Hoang Ho, den Amazonas – ihre Namen sind alle verschieden, und sie fließen in sehr unterschiedlichen Ländern. Doch fließt in ihnen allen dasselbe Wasser. Und zuerst war das Wasser da, die Namen der Flüsse kamen erst viel später dazu.
 

Das Wasser in diesem Vergleich steht also für das Eine, das schon immer da war. Die Namen der Flüsse stehen für die vielen Lehren, die es auf der Welt gibt. Sie wurden geprägt von den Menschen in den verschiedenen Kulturen, die das Eine begreifbar, benennbar und zu ihrem Besitz machen wollten. Das kann aber nicht gehen. Denn das Eine, das Wasser ist unbegrenzt, überall und ewig, es gehört sich selber, keiner kann es in Besaitz nehmen. Die Lehren indessen, die es eingrenzen, in Besitz nehmen wollen, sind durchaus vergänglich. Sie scheitern an ihrer Begrenztheit.

Doch jetzt zum Praktischen. Unser Sein, unsere Essenz, wurzelt in diesem Einen, im Wasser sozusagen. Und meine Arbeit zielt auf etwas im Grunde sehr nahe Liegendes: nämlich darauf, dass wir die Verbindung zu unserer Essenz wieder herstellen, Sein unmittelbar erfahren und damit eine Ahnung von dem Einen bekommen können.

Essenz und Sein – ich nenne diese reichste existenzielle Ebene gern einen »Raum«, der sich ins Grenzenlose erstreckt. Erfahren wir ihn, verstehen wir, wer wir wirklich sind und was es eigentlich heißt, ein vollständiger Mensch zu sein. Na, und was haben wir dann davon?

– fragt der auf Resultate und Profite bedachte Verstand.

Nun, nichts Besonderes, gebe ich nüchtern zur Antwort. Nur etwas, das schon immer zu unserem Bestand zählte, doch vergessen,  verschüttet war: Wir wissen, wer wir wirklich sind und verstehen den tiefen Sinn unseres Lebens.
 

Und wozu ist das wieder gut? Oh, es macht einen großen Unterschied, ob ich mir selber, meinen Liebsten wie auch den Anforderungen im Beruf als ein mit Komplexen, Selbstzweifeln und Lebensängsten Beladener begegne und darum immer Recht haben oder jemand Besonderer sein muss – oder als einer, der in sich selber nach Hause gefunden hat, sich geborgen in der Schöpfung weiß und mit allem Leben verbunden.
 

Wie stets, wenn sich Meditation und Arbeit an der Selbsterkenntnis verbinden, geht es um Humanität, um Nächstenliebe und Frieden, um ein erfülltes Leben im Alltag.